Die Betroffenen der Katastrophe sind keine Kuriosität

Auf ein Wort

Pfarrerin Antje Lütkemeier. Foto: Privat

Pfarrerin Antje Lütkemeier. Foto: Privat

Auf ein Wort? Was, wenn die Ereignisse mir wirklich die Sprache verschlagen. Ein Tornado zieht eine Schneise der Verwüstung durch Paderborn. Unfassbar. So etwas kannte ich bislang nur von Fernsehbildern aus Südostasien oder den USA. Weit weg. Und dann trifft es uns hier, in unserem bisher so beschaulichen Ostwestfalen? Innerhalb von Augenblicken reißt es Menschen buchstäblich das Dach über dem Kopf weg, oder die Grundlage der beruflichen Existenz unter den Füßen fort. Und nur hundert Meter weiter ist alles so, als wäre nie etwas gewesen. Unglaublich.

Fast sprachlos machte mich die Welle der Hilfsbereitschaft, die sofort danach einsetzte. Menschen, die mit anfassten, wo Hilfe gebraucht wurde. Nachbarn, die erst das eigene Dach sicherten und sich dann um das Nebenhaus kümmerten. Oder auch die im Hintergrund, mit Essen für die Helferinnen und Helfer. Und die, die sich um Kinder gekümmert haben, um den Anderen den Rücken für die Arbeit vor Ort freizuhalten. Großartig!

Wirklich sprachlos hinterlassen mich allerdings die Katastrophen-Touristen und Sensations-Gaffer. Sie sind in schlechter, wenn auch biblischer Gesellschaft. Thomas, der sprichwörtlich ‚Ungläubige‘, konnte mit dem lebendigen Jesus nach der Auferstehung erst wieder umgehen, nachdem er ihn mit eigenen Augen gesehen und die eigenen Finger in die Wunden Jesu gelegt hatte (Bibel, Johannes 20,19-29). Jesus geht mit Thomas freundlich und barmherzig um. Er erlaubt Thomas, ihn zu berühren. Jesus holt Thomas wieder in die Gemeinschaft der Jüngerinnen und Jünger hinein. (Thomas hatte ja zumindest keine Rettungsarbeiten behindert.)

Mich treibt das um: Was bewegt Menschen, durch die Zerstörungen in Paderborn zu spazieren, wie durch einen Zoo? Überall, in Zeitungen, TV und social media, gab es Bilder der Katastrophe zu sehen. Jede und jeder von uns kennt einen Menschen, der vom Tornado betroffen ist. Sind diese Informationen, ist selbst Infotainment, nicht mehr genug? Brauche ich das Grauen in eigener Anschauung, um sagen zu können „Ich war dabei“ oder um mich in meinem Leben lebendig zu fühlen? Oder geht es – ohne Nachdenken – einfach um ein weiteres Event?

Ich vermute, nein ich hoffe, es geht um Begreifen, wie bei Thomas. Deshalb meine Bitte: Werdet besser Teil des Geschehens, indem Ihr anpackt, wo Hilfe gebraucht wird und sinnvoll unterstützt. Niemand hat es verdient, in der Katastrophe auch noch begafft zu werden wie eine Kuriosität.

Pfarrerin Antje Lütkemeier, Evangelische Kirchengemeinde Bad Lippspringe

Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 3. Juni 2022.