„Physische Präsenz, Trost und Segen sind unersetzbar“
Krankenhaus-Seelsorge unter Corona-Bedingungen - Ein Interview mit Pfarrer Hartwig Glöckner
Paderborn (wels). Hartwig Glöckner (58) hat im September 2017 die neu errichtete Pfarrstelle für Krankenhausseelsorge im Evangelischen Kirchenkreis Paderborn übernommen. Als Seelsorger arbeitet der in Klinischer Seelsorge ausgebildete Theologe in Paderborn im St. Vincenz-Krankenhaus (PB-Zentrum) sowie im Krankenhaus des St. Johannisstift. Die Folgen von Corona stellen in seinem Berufsalltag die bisher größte Herausforderung dar. Auch wenn er aus gegenseitigen Schutzgründen keinen direkten Kontakt zu Covid-Patienten haben durfte.
1. Wie hat sich Ihre Seelsorge-Arbeit durch Corona verändert?
Hartwig Glöckner: „Die Krankenhäuser, in denen ich tätig bin, wurden mit dem absoluten Besuchsverbot und der kompletten Abriegelung zu einer eigenen Welt. Das Leben in den Kliniken ging in gewisser Weise ‚normal‘ weiter und gleichzeitig eben doch unter ganz anderen Bedingungen. Die strengen Hygieneregeln hatten natürlich auch Auswirkungen auf die Seelsorge: Das ständige Tragen von Masken erschwert die Verständigung, insbesondere mit älteren Menschen oder Patient*innen, die sowieso nur mit Mühe sprechen können und schlecht hören. Patient*innen zu berühren und den Segen zuzusprechen mit Hände auflegen, habe ich mich seltener getraut und dann nur mit direkt vorher desinfizierten Händen. Die regelmäßigen Besuche bei Langzeitpatienten wurden noch wichtiger als sonst in der langen Zeit des absoluten Besuchsverbots. Das Thema Einsamkeit bekam in Gesprächen ein größeres Gewicht. In dieser Situation gewann die physische Präsenz des Seelsorgers einen unschätzbaren Wert, mit Augen, die wahrnehmen, Ohren die zuhören, einem Herz, das sich einfühlen und einem Mund, der, ohne gesehen zu werden, doch Mitgefühl ausdrücken und Worte finden kann für das Unsagbare. Unersetzbar sind auch Zuspruch von Trost und Segen. Die Supervisionsgruppe und der Austausch mit anderen Kolleg*innen aus der Klinikseelsorge waren für mich in dieser Situation, wenn auch per Videokonferenz, ein großer Halt.“
2. Was waren eindringliche Erfahrungen mit Patienten, Angehörigen, Personal?
H.G. „Mir war als Seelsorger vor allem wichtig, dass Angehörige zu Sterbenden weiterhin kommen durften und wir auch als Seelsorgende bei Bedarf gerufen werden konnten. Das wurde von der Leitung beider Kliniken zugesichert. Die erschütterndsten Erfahrungen waren für mich in der Zeit des absoluten Besuchsverbotes Besuche bei Patient*innen auf den Gefäßstationen, die manchmal wochenlang, im Extremfall 80 oder sogar über 100 Tage im Krankenhaus lagen und manchmal noch obendrein wochenlang im Isolierzimmer. Die seelischen Folgen dieser extrem langen Isolierung für schon aufgrund ihrer Erkrankung vulnerable Menschen sind noch nicht absehbar und haben sich in vielen Fällen wohl auch negativ auf den Heilungsprozess ausgewirkt. Mich hat auch die Not von Angehörigen, mit denen ich gelegentlich telefonischen Kontakt hatte, erschüttert, die nicht ins Krankenhaus kommen durften oder nur an der Pforte etwas abgeben konnten. In den Zeiten, wo Besucher*innen unter besonderen Auflagen kommen durften, bildeten sich zum Teil lange Schlangen vor der Krankenhaustür. Diesen Stressfaktor haben auch die Patient*innen gespürt. Beim Pflegepersonal war die erhöhte Anspannung durch die Angst vor Ansteckung durchaus an vielen Stellen spürbar und auch der erhöhte Druck und Stress durch immer wieder neue Regelungen.“
3. Hat sich die Belastung durch Corona inzwischen etwas entspannt?
H.G. „Durch die fortschreitenden Impfungen, die Testmöglichkeiten, den starken Rückgang der Inzidenzwerte und die Aufhebung des absoluten Besuchsverbots hat sich vieles jetzt tatsächlich etwas entspannt. Wir sind jedoch noch weit von ‘Normalität’ entfernt. Und das alles bedeutet ja andererseits wieder einen enormen neuen Aufwand, der organisiert werden muss und auch in der Seelsorge spürbar ist. Auf einer Station, in einem der beiden Krankenhäuser, wurden plötzlich ganz unerwartet einige, auch schon geimpfte Patienten positiv getestet. Aufgrund des umsichtigen Handelns aller Verantwortlichen waren die Infektionsketten zum Glück schnell durchbrochen. Ich bin selbst noch im Juni, wenige Tage vor Ende der Zweiwochenfrist nach meiner zweiten Impfung, völlig unerwartet positiv getestet worden. So habe ich mitbekommen, was für einen enormen Verwaltungsaufwand das nach sich zieht, auch bei sorgfältig dokumentierten Kontakten. Zum Glück hatte ich keine Symptome. Vermutlich haben mich die Impfungen da geschützt.“