Auf ein Wort, Frau Pfarrerin
"Gottes drei Phasen Modell" von Pfarrerin Antje Lütkemeier
Kennen Sie das Cave-Syndrom? Seit Beginn der Pandemie haben wir gelernt, Kontakte zu vermeiden. Momentan dürfen wir uns wieder mehr begegnen. Viele Menschen nutzen die Freiheiten zu Aktivitäten und Treffen mit Menschen, tun alles, was sie lange schmerzlich vermisst haben. Einige haben es schwer mit dem sozialen Miteinander, können nicht so mühelos umschalten und bleiben lieber in ihrer Höhle (engl. Cave).
Cave-Syndrom, schade, dass sich dieser Begriff nach einer Krankheit anhört. Der Aufenthalt in einer Höhle macht durchaus Sinn. Schon die Bibel erzählt von Menschen, die bei Gefahr dort Unterschlupf fanden. Der legendäre spätere König David z.B. auf der Flucht vor Saul.
Im Wadi Murabbaat wurden die „Schriftrollen vom Toten Meer“ in Höhlen entdeckt. Diese Qumran-Handschriften liefern wertvolle Erkenntnisse bei der Erforschung der biblischen Textgeschichte. Höhlen dienten zu allen Zeiten als Versteck und Schutz für Menschen und ihre kostbare Habe.
Jetzt, Ende Juli/Anfang August, erinnert mich das Cave-Syndrom auch an Weihnachten. Merkwürdig? Nicht wirklich. Gott kam, der Überlieferung nach, in einer Höhle als Mensch zur Welt. In und um Bethlehem werden bis heute die Karsthöhlen als Lager und Stall benutzt. Die Holzhütte der Krippendarstellungen ist ein europäisches Bild.
Gott kommt in einer Höhle zur Welt, um Nähe zu den Unsichtbaren, den Zurückgezogenen, Versteckten und Verfolgten deutlich werden zu lassen. Gott kennt sich gut aus mit Höhlen. Gott hat ein Herz für die Menschen in Höhlen. Ein Herz für die, die nicht von „Null auf Hundert“ wieder an allem teilnehmen können, sondern vorsichtig mehr Schutz und Zeit brauchen.
Wie finde ich nun einen guten Weg zwischen noch angemessener Angst, die uns nicht komplett sorglos werden lässt, und der vermissten Freiheit?
Im Buch der Psalmen lese ich von Gottes drei Phasen Modell:
Gott deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, Gott birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen. (Ps 27,5)
Höhlen sind keine guten Orte zum Wohnen auf Dauer. Langsam und mit liebevoller Begleitung schaffen es „Höhlenmenschen“ aus dem Versteck in das leichte Zelt. Und dann auf den Felsen, um neu Übersicht und Perspektive zu bekommen.
Antje Lütkemeier ist Pfarrerin der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Lippspringe.
Der Beitrag ist in der Neuen Westfälischen Paderborn am 30. Juli 2021 in der Kolumne “Auf ein Wort” veröffentlicht.