Spuren im Schnee
Auf ein Wort
Hat es Sie auch kalt erwischt? Sonntag früh raus, unaufhörlicher Schneefall, aber es hilft nichts: Schnee räumen. Vorne an der Straße, am Pfarrhaus, am Gemeindehaus. Es hörte nicht auf. Und dann der Kirchhof! Obwohl – da muss doch jetzt niemand langgehen. Im Gemeindehaus gibt es keine Veranstaltungen, das Gemeindebüro ist geschlossen. Die Kirche ist zu. Keine Gottesdienste. Jeden Sonntagmorgen läuten brav alle Glocken, aber niemand kommt. Wozu sich da die ganze Arbeit machen! Na gut, schaden kann es nicht. Also doch Schnee räumen. Erst am Nachmittag, aber immerhin. Es war schon beeindruckend, diese inzwischen hoch zugeschneite, völlig unberührte Fläche zu beackern.
Und dann sah ich sie – die Fußspuren. Von der Straße bis zur Tür des Gemeindehauses, zum Büro, vor allem zur Kirchentür. Dahinter die elektrischen Kerzen, die noch leuchten, sogar noch der Weihnachtsbaum, die Aushänge, die Bilder. Eine Spur. Ein Mensch musste an diesem völlig verschneiten, eiskalten, schneechaotischen Sonntag an der Kirchentür gestanden haben. Dorthin einen Weg gehabt haben. Ich habe weiter die Wege mit den Fußspuren freigeschaufelt. Jeden Tag mehrmals. Ich habe noch mehr Spuren im Schnee entdeckt, Sie vielleicht auch. Von Katzen, von Hunden, von Vögeln, sogar von Kaninchen und von anderen Tieren. Wir sehen oft nur die großen Tiere. Wir hören auf die Stimmgewaltigen. Das steuert unser Tun. Für sie bereiten wir unsere Wege. Unbewusst, aber wirkungsvoll.
Der Winterzauber, der uns so kalt erwischt hat, lässt aber auch etwas anderes erkennen. Das eine Tier, dem wir schon soviel Lebensgrundlage gestohlen haben, das nun unsere Hilfe sucht. Der eine Mensch, der einfach mal schauen muss, ob das Licht in der Kirche noch brennt, der Nähe sucht. Der vielleicht auch uns anklingelt auf dem Telefon und einfach nur ein bisschen reden will. Wege freischaufeln, auch wenn es zu Beginn nervig ist. Manchmal ist es genau richtig, dies zu tun. Die Wege zu bereiten, die Gottes Kreaturen von sich aus suchen. Wege zu einander, auch zu Gott. Wege, die aus der Sehnsucht nach Nähe entstehen. Schaufeln wir sie frei.
Detlev Schuchardt, Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Bad Lippspringe
Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 12. Februar 2021.