Der Durst der Seele

Auf ein Wort

Pfarrer Christoph Keienburg

Pfarrer Christoph Keienburg


Wie der Hirsch schreit nach frischem Wasser, so schreit meine Seele, Gott, zu dir.

Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. (Ps 42,2-3)

So drastisch will ich das gar nicht, wie das, was als ökumenischer Monatsspruch über dem Juli 2022 steht. Das muss ich nicht haben, das, womit der 42. Psalm seine Vorstellungswelt eröffnet: Eine schreiende Hirschkuh in einem Bachbett, die zu verdursten droht. Dass ich so angewiesen sein soll, wie dieses arme Tier in einer verdorrenden Landschaft!

Ich ziehe ein religiöses Dasein vor, das mir Dosierungen ermöglicht. Ein bisschen Beten, ein bisschen Feiern, ein bisschen Nachdenken, der eine oder andere Impuls zu meiner moralischen – Nein, nicht: Vervollkommnung: –Justierung. Ein bisschen Hoffnung, nicht zuletzt auf ein Ende dieses Sch… Krieges und all der Spiralen aus Hunger und Flucht und Inflation und ökologischer Verwüstung, die er, über das Morden hinaus, in Gang setzt.

Aber der Psalm sagt: Die Sehnsucht ist größer als die nach irgendwelchen Portiönchen. Der Hirsch kennt nur eines: Durst. Und er schreit, bis dass er gelöscht werde. Auch Deine Seele weiß, dass Du sie nicht abspeisen kannst. Sie hat anderes geschmeckt: Im Mutterleib, im Spiel, in der Liebe, im Tanz, in der Lust, im Kultus, im Konzert, im Rausch. Im Kuss, im Heilwerden, im Verwinden des Schmerzes, mal ganz abgesehen vom Geboren werden selbst – in diese wundersam-wunderschöne Schöpfung hinein. Sie ist dem Anderen begegnet, dem Lebendigen. Mit weniger kann sie sich nicht zufrieden geben: Als aufs Neue von ihm zu kosten. Höre auf ihre Schreie.

Einen gesegneten Juli wünscht Ihnen

Ihr Christoph Keienburg, Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde Paderborn

Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 1. Juli 2022.