Teilzeit-Nesthocker

Auf ein Wort

Pfarrerin Elke Hansmann

Pfarrerin Elke Hansmann

Als Nesthocker bezeichnen wir eine Person, die – obwohl erwachsen – noch im Elternhaus lebt. Eine Person, die es sich im „Hotel Mama“ bequem gemacht hat, also im „Nest“ hocken bleibt. Die es genießt, bekocht zu werden, deren Wäsche gleich mitgewaschen wird, usw. Eine solche Lebensweise wird manchmal belächelt und kann auch absurd werden, wenn das „Kind“ mittlerweile in die Jahre gekommen ist. Doch seien wir ehrlich, das „Hotel Mama“ hat seine Vorzüge. Wenn ich zurückdenke, dann gebe ich gerne zu, dass ich als Erwachsene die Wochenenden, die ich bei meiner Mutter verbracht habe, sehr genossen habe. Ich wurde gefragt, was ich gerne essen möchte. Der Frühstückstisch war gedeckt, wenn ich aufstand. Und sehr oft hatte Mama Kuchen gebacken. An solchen Wochenenden konnte ich mich fallen lassen, fühlte mich umsorgt und verwöhnt, brauchte nichts zu bedenken. Das waren immer sehr entspannte Tage.

Der Begriff „Nesthocker“ stammt aus der Biologie, wo wir die Vögel vor Augen haben, die in der Regel Nester bauen. Nesthocker brauchen länger, bis sie so weit entwickelt sind, dass sie das Nest verlassen können. Sie sitzen unter den Flügeln der Elterntiere, wo sie vor Sonne und Regen, Kälte und Feinden geschützt sind, bis sie flügge sind.

In der Bibel wird auch Gott so beschrieben: Er kümmert sich wie ein Vogelelternpaar um seine Menschenkinder. Im 63. Psalm heißt es: „Du bist mein Helfer, und unter dem Schatten deiner Flügel frohlocke ich.“ (Ps. 63,8)

Selbst wenn wir zu den „Nestflüchtern“ gehören, also zu denen, die früh auf eigenen Füßen gestanden haben, bleibt die Sehnsucht nach der ursprünglichen Geborgenheit und dem Umsorgt-Sein, die sich in diesem Bild ausdrückt. Zeiten, die uns beruflich herausfordern, oder in denen wir durch Krankheit aus dem normalen Alltag ausgeschlossen sind, machen uns besonders bedürftig nach Schutz und Wärme. Wie gut tut es uns dann, wenn jemand uns hilft und zur Seite steht, einen Tee ans Bett bringt oder mitdenkt und anfasst, wenn wir Hilfe brauchen. Wie gut tut es, wenn wir einfach da sein dürfen, so hilfe- und schutzbedürftig, wie wir manchmal sind. Vor allem auch in krisenhaften Zeiten wie diesen, in denen wir gerade leben. So dürfen wir bei Gott sein: Wir müssen nichts vorweisen, brauchen noch nicht einmal Worte, um unsere Situation zu schildern, sondern dürfen uns in seinem Schutz bergen wie ein Küken. Wie gut tut das angesichts all der Herausforderungen und Ansprüche, die uns jeden Tag auf ganz unterschiedliche Weise im Leben begegnen. Auf Zeit darf ich noch einmal zum Nesthocker werden. Wie beim Besuch der Eltern ist Gott für mich da. Er beschützt und versorgt mich, schenkt mir auf diese Weise neue Kraft, die ich brauche, um wieder ins Leben zu starten.

Elke Hansmann, Pfarrerin im Evangelischen Kirchenkreis Paderborn

Der Beitrag ist erschienen  in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 25. August 2023.