Wird die Kirche noch gebraucht?

Auf ein Wort

Schulpfarrerin Silvia Reinecke. Foto: Privat

Schulpfarrerin Silvia Reinecke. Foto: Privat

Gerade haben wir Pfingsten gefeiert. Das Fest des Heiligen Geistes, den Geburtstag der Kirche. Von der Geburtsstunde der ersten Gemeinde erzählt die Apostelgeschichte als von einem stürmischen und bewegenden Ereignis: Nach seiner Himmelfahrt kommt der Geist Jesu über seine alleingelassenen Jünger. Der Begeisterungsfunke springt über; ganz Feuer und Flamme können sie gar nicht anders, als ihren Glauben draußen vor der Tür zu bezeugen. Und das Wunder geschieht: Menschen verschiedenster Nationalitäten und Sprachen werden geeint in diesem guten Geist und lassen sich taufen. Die erste Gemeinde ist da! Und die Botschaft von dem zu Tode Gemarterten, den Gott im Aufstand gegen Leid und Tod auferstehen ließ, bricht sich Bahn und fasst Fuß in der ganzen damals bekannten Welt. Bis heute geht die Sache Jesu weiter in der Gemeinschaft von Menschen, die von seinem Geist angerührt, seine Botschaft vom kommenden Reich Gottes verkündigt, sie aufleuchten lässt in der Welt. Nach Gottes Heilsplan wird das Reich der Gerechtigkeit und des Friedens kommen. Die Sehnsucht nach der ganz anderen Welt wird sich erfüllen. Am von Gott verheißenen Ziel wird die Fülle des Lebens für die ganze Menschheit da sein (Joh 10,11), wird die Liebe vollkommen sein in der Liebe zu Gott, der Selbstliebe und der Liebe zu jedem Menschen. Zu diesem Ziel hin ist die Kirche als das wandernde Gottesvolk unterwegs.

Was ist nun aber heute los mit der Kirche? Hat sie sich auf ihrem Weg verlaufen?! Im krassen Gegenteil zum Pfingstereignis verlassen Menschen in Scharen die Kirche. Aus gutem Grund! Wir hören von entsetzlichen Gewalttaten, auch von sexueller Gewalt gegen Schutzbefohlene! Wie abscheulich! Begangen von Amtsträgern und kirchlichen Mitarbeitern! Wie himmelsschreiend dem eigenen Auftrag, das Heil Gottes den Menschen zuzuwenden, entgegen! Wie unglaubwürdig! Und wie unverzeihlich diesen beschädigten und beschämten Menschen gegenüber! Und immer noch scheint kein Weg des angemessenen Umgangs mit Betroffenen und Tätern gefunden! Nein, eine solche Kirche braucht man nicht! Und nun?! Die Kirche ist nicht das Reich Gottes, nur das Bodenpersonal. Schon Martin Luther unterschied die sichtbare Kirche, in der es Heuchler und schlecht handelnde Menschen gibt, von der unsichtbaren Kirche, der Gemeinschaft der wahrhaft Gläubigen. Diese echte Kirche wird immer noch gebraucht! Warum?! Weil sie mit ihren Türmen über sich selbst hinaus auf Gott und den Himmel verweist. Weil sie der Ort ist, an dem Menschen an Trost, Hoffnung und Freude des Evangeliums teilhaben können. Der Ort, an dem jedem menschlichen Leben unwiderruflich von Gott Würde und Heiligkeit zugesprochen ist; wo man im öffentlichen Raum Ruhe suchen und weinen darf, wo in Gottes Namen gegen Unrecht und Leid gekämpft wird und wo Zeit und Ewigkeit mit der Botschaft vom Reich Gottes miteinander verbunden sind.

Silvia Reinecke, Schulpfarrerin des Evangelischen Kirchenkreises Paderborn

Der Beitrag ist erschienen in der Reihe „Auf ein Wort“ in der Neuen Westfälischen Paderborn am Freitag, 2. Juni 2023.